Neurechte Identitäre Bewegung - verkappte Rassisten oder gar Neonazis?

Eine ttt-TV Analyse

Sie bezeichnen sich als "freie, patriotische Kraft", propagieren Heimatliebe und sorgen sich um den Erhalt der eigenen Kultur. Die "Identitäre Bewegung" ist eine Jugendbewegung, die aus Frankreich stammt, inzwischen aber auch in Deutschland immer aktiver wird. Mit coolen Videos, schicken Facebookseiten und originellen Aktionen wollen sie gezielt junge Menschen ansprechen und für ihre vermeintlich harmlose Gesinnung gewinnen: gegen Flüchtlinge, gegen "Massenzuwanderung", gegen "Islamisierung". Sie selbst behaupten, keine Neonazis oder Rassisten zu sein, aber in einigen Bundesländern werden sie bereits vom Verfassungsschutz beobachtet. "ttt" über eine spezielle Gruppierung - weit rechts von der Mitte.

"Grenzen hoch und Schotten dicht"

Einer der Köpfe der "Identitären Bewegung" ist Österreicher. Er heißt Martin Sellner und liest gerne Hugo von Hofmannsthal. Wenn er bei Pegida auftritt und über Asylpolitik redet, ist es weniger lyrisch. "Mein Traum ist, dass Angela Merkel in Schimpf und Schande, unter Buh-Rufen, das Parlament verlassen muss", sagte er im Februar 2016 in Dresden.

Die "Identitäre Bewegung" schwenkt ihre Flaggen auf der Straße und im Netz. Das Lambda-Symbol ist alt, die Medien, die sie nutzen, sind neu. Sie sind sogenannte Digital Natives und tragen gerne T-Shirts, auf denen steht: "Patriot" oder: "Pro Border, pro Nation, stop immigration" oder "Grenzen hoch und Schotten dicht".

Sie lieben die  Show, spielen bedrohlich eine Burka-Invasion in Warnemünde. Sie schreiben auf Facebook über das "Migrantenmischmasch". Das sei keine Hetze, man sei einfach eine "dezidiert jugendliche Bewegung", sagt Mitglied der Bewegung, Daniel Fiß. "Von daher ist es auch unser Privileg, aus meiner Sicht, ein bisschen frecher zu sein."

In elf Bundesländern sind sie im Fokus der Verfassungsschützer. "Die identitäre Bewegung wird vom niedersächsischen Verfassungsschutz seit 2014 als extremistisch eingestuft und beobachtet, weil sie eine Form von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus vertritt, die den Grundwerten unser freiheitlich demokratischen Ordnung zuwiderläuft", sagt Maren Brandenburger vom Verfassungsschutz Niedersachsen.

"Wir haben mehrfach betont, dass wir nicht verfassungsfeindlich sind", betont hingegen Daniel Fiß. Der 23-jährige Rostocker wurde uns von den "Identitären" als Interviewpartner gestellt. Mit 16 war er bei der NPD. Mit der hat er gebrochen, sagt er. Jetzt sei er "identitär" und damit Teil der "Neuen Rechten". Der dumpfe NS-Kult der alten Neonazis ist für die "Neue Rechte" nicht mehr opportun. Sie gibt sich philosophisch – rechte Freidenker.

Kulturen sollen für sich bleiben

Von "Rasse" redet sie nicht, sondern von Kultur und Identität: Solange jede Kultur für sich bleibt, ist das okay, das ist "Ethnopluralismus". Wenn aber eine fremde Kultur ins Land kommt, beginnt der Zerfall – bis es das Volk, das die Fremden aufgenommen hat, nicht mehr gibt. "Ihr schafft euch ein neues Volk und macht uns zu Fremden“ und
"Wir sollen verdrängt und ausgetauscht werden", heißt es in Internetvideos der Bewegung.

"Wenn wir uns anschauen, wie die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) die Begriffe Volk und Volkszugehörigkeit verwendet, wie der Begriff Volk konnotiert ist, nämlich eindeutig immer mit der Abwertung des anderen, des nicht zum Volk dazugehörigen, erinnert das stark an die nationalsozialistische Diktion von Volksgemeinschaft und Volkszugehörigkeit", so Brandenburger. "Auch wenn die IBD sich davon formal distanziert und auch sicherlich in ihrer Programmatik keine direkten Bezüge zur NS-Ideologie hat. Doch die Bedeutung des Begriffs Volksgemeinschaft, Volkszugehörigkeit ist klar rassistisch definiert. Es ist eine Form von kulturellem Rassismus, wenn man so will."

Die "Identitären" propagieren die "deutsche Kultur"

Wir fragen Daniel Fiß, was denn diese deutsche Kultur sei. "Deutsche Kultur bezieht sich auch auf diese ganzen moralischen und auch Sekundärtugenden. wie man sie so schön nennt, die auch in preußischen Zusammenhängen entsteht. Und die sich niederschlägt in anderen sozialen Praktiken und Tradtionsbeständen, die sich in der Sprache entsprechend niederschlagen, die sich in verschiedenen sozialen Handlungspraktiken, wie jetzt eben, um es plakativ auszudrücken Pünktlichkeit, Ordnung." Das ganze Interview gibt's hier.

Kultur ist wohl doch nur ein Schlagwort unter vielen, Teil des großen Auftritts: Die "Identitären" machen Flashmobs, in Videos parodieren sie wild die Wilkommenskultur: "Refugees welcome" neben den Steckbriefen islamistischer Terroristen. Hetze mit Spaßfaktor – mehr als 27.000 Likes für eine Gruppe, die die Jugend Europas zur "Reconquista" aufruft. Reconquista ... die "Identitären" geben sich gern gebildet.

Wer ist die Zielgruppe der "Identitären"?

Simone Rafael von Netz gegen Nazis beobachtet seit Jahren, wie die rechtsextreme Szene neue Maskeraden ausprobiert: "Die Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die sich vielleicht nicht einer offen rechtsextremen Bewegung anschließen würden, weil sie wissen, dass das mit Problemen behaftet ist", erzählt die Aktivistin. "Die aber eigentlich diese Ideen teilen und sich deshalb freuen, wenn es eine Bewegung gibt, die versucht genau diese Inhalte in ein anderes Gewand zu bringen."

In ihrem Trailer, in emotionalen Close-Ups gedreht, inszenieren sich die "Identitären" als Opfer eines verlogenen Establishments: Darin fordern sie "das Ende einer Politik, die uns das Recht auf unsere Selbstbestimmung und unsere Identität abspricht!".