Sozialismus im Grundgesetz - Debatte über Verstaatlichung und Vergesellschaftung

Im Grundgesetz befasst sich ein Artikel mit Vergesellschaftung - und verdeutlicht das wirtschaftliche Spektrum bis hin zum Sozialismus, das in Deutschland möglich wäre.

Im Grundgesetz gibt es, ganz weit vorne, dort also, wo die Grundrechte stehen, einen völlig unbenutzten Artikel. Er steht immer noch genau so da, wie er 1949 hineingeschrieben wurde. Er ist so unbenutzt, dass man ihn eigentlich ins Ausland verkaufen könnte, stellt Prantl von der SZ fest.

Man mag den Eindruck haben, dies sei schon geschehen, denn der in Deutschland unbenutzte Artikel trägt die Überschrift "Vergesellschaftung". Und genau das haben die USA, GB und Island soeben mit einer ganzen Reihe von Banken in ihren Ländern gemacht: Sie haben sie vergesellschaftet, also verstaatlicht.

In der  Bundesrepublik ginge das auch (wenn man Banken unter den Begriff "Produktionsmittel" fasst, wie es üblicherweise getan wird). Artikel 15 lautet nämlich: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz...in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden." Aber dafür hat der Gesetzgeber bisher keine Notwendigkeit gesehen. Im Übrigen gibt es schon Staatsbanken in Deutschland, in Gestalt der Landesbanken zum Beispiel.

Kein Restposten aus der DDR - Ein Grundrecht laut GG

Eine Streichung des Artikels 15 im Wege der Verfassungsänderung hat (was fast ein wenig wundert) nie zur Diskussion gestanden - wohl deswegen, weil nie jemand glaubte, dass dieser Artikel tatsächlich je zur Anwendung kommen würde.

Der Rechtswissenschaft, die alle anderen Verfassungsartikel tausendmal gedreht und gewendet, dann zu juristischem Carpaccio zerschnitten und darüber dicke Wälzer geschrieben hat, ist zu diesem Artikel 15 wenig eingefallen. Die meisten Juristen und Politiker haben ihn beäugt wie der König die böse Fee auf dem Geburtstagsfest von Dornröschen.

Indes: Dieser Artikel ist kein sozialistischer Restposten aus der DDR. Es handelt sich um eine Formulierung, über die sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor sechzig Jahren lange und gründlich Gedanken gemacht haben - und die sich so ähnlich auch in den Landesverfassungen findet.

Der Gehalt des Artikels 15 verdeutlicht das wirtschaftliche Spektrum, das im Rahmen des Grundgesetzes verwirklicht werden könnte. Das ist seine eigentliche Bedeutung - so wird das auch im Dreier'schen Grundgesetzkommentar gesehen.

Das hat damit zu tun,  dass selbst  die CDU den Kapitalismus und seine Existenz  für die Machtergreifung des Hitlerfaschismus mitverantwortlich machte und deshalb den Kapitalismus der Konzernherrschaft und er  Monopolbildung   abschaffen wollte. So steht sogar im Ahlener Programm der CDU von 1946 sinngemäß, dass die  Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien  anzustreben sei.

Und so hat dies das Bundesverfassungsgericht schon 1954 gesagt: Im Urteil zum Investitionshilfegesetz stellte Karlsruhe fest, dass der Gesetzgeber zwar die Grundrechte beachten muss, er in diesem Rahmen aber jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen darf. Der Gesetzgeber hat also eine große Gestaltungsfreiheit. Wie weit sie geht - das zeigt der Artikel 15.

In den Verfassungen von Rheinland-Pfalz und NRW heißt es, dass Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung Bedeutung haben, in Gemeineigentum überführt werden können.

Die bremische Verfassung lässt Verstaatlichung zu, wenn der Unternehmenszweck besser in gemeinwirtschaftlicher Form erreicht werden kann, im Saarland heißt es gar, dass Schlüsselindustrien wegen ihrer überragenden Bedeutung für die Wirtschaft des Landes nicht in Privateigentum stehen dürfen. Und in Bayern ist im Artikel 160 Verstaatlichung vorgesehen, "wenn die Rücksicht auf die Gesamtheit es erfordert".