IZ- History: Das Sündenregister von 10 Jahre Rot-Roter Regierung in Berlin

Schon einmal regierte 10 Jahre lang Rot- Rot in Berlin von 2002  bis 2011. Doch diese  linke Regierung war kein Bruch mit dem Neoliberalismus sondern eine Fortsetzung neoliberaler Politik alter Schule.

Entsprechende Überlegungen stellt die Linke Lucy Redler in einem Beitrag für die JW an. Gleichzeitig kündigt sie eine Buchveröffentlichung an, die die Sünden der Linken in Regierungsbeteiligungen kritisch thematisiert. 

Unter Rot-Rot wurden Filz und Korruption zwar eingedämmt, die Zeche für die »normale kapitalistische Entwicklung« und neoliberale Politik, an der sich die PDS nun eifrig beteiligte, zahlten jedoch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Erwerbslose und Mieter.

Die damalige PDS verschrieb sich der Logik der neoliberalen  Haushaltskonsolidierung: »Angesichts der dramatischen Haushaltslage war klar, dass an einer Politik der Haushaltskonsolidierung kein Weg vorbeiführt.«

Klaus Wowereit sagte damals über die PDS in Berlin: »(...) Hier macht die PDS eine praktische Politik. Sie arbeitet mit an der Umsetzung von Hartz IV, entgegen dem, was ihre Bundespartei fordert. Da ist die PDS durchaus schizophren.«

 

Die PDS Berlin beteiligte sich nicht nur am Sparen, sie verzichtete auch darauf, gewisse Maßnahmen zur Einnahmesteigerung wie die Anhebung der Gewerbesteuer auf Kosten der Wirtschaft zu ergreifen.

Harald Wolf bekannte sich »zum Vorsatz«. Die Berliner Morgenpost kommentierte Wolfs Haltung 2004: »Strukturreformen wie der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, die Neuordnung der Hochschulmedizin, das neue Schulgesetz, die Opernstiftung, die neue Struktur der Wirtschaftsförderung oder die Hochschulverträge mit abgesenkten Zuschüssen seien unabhängig von der Haushaltslage notwendig und sinnvoll. ›Wir haben zu oft auf mildernde Umstände plädiert, statt uns zum Vorsatz zu bekennen‹, sagt Wolf.«

Mit der Einbeziehung der PDS in die rot-rote Koalition gelang das, was durch eine Fortsetzung der großen Koalition nicht möglich gewesen wäre. Die PDS wurde als vorige Opposition in die Koalition integriert und schwächte mit ihrem Kurs den außerparlamentarischen Widerstand – ein ähnliches Phänomen wurde bei der Einführung der Agenda 2010 durch die rot-grüne Bundesregierung deutlich: Schröder setzte durch, was Kohl nicht gewagt hätte.

Langes Sündenregister

Im Wahlprogramm der Linken Berlin für die Abgeordnetenhauswahlen 2016 heißt es: »Rot-Rot hat von 2002 bis 2011 den Landeshaushalt saniert. Diese Sanierungspolitik war hart und ging zuweilen über das Vertretbare hinaus. Sie sorgte jedoch dafür, dass politische Handlungsspielräume zurückgewonnen wurden.«7 Im Programm wird die Politik unter Rot-Rot gerechtfertigt und verklärt – mit dem Ziel, 2016 erneut in eine Regierung mit SPD und nun auch den Grünen einzutreten. Man fragt sich, wessen Handlungsspielräume hier gemeint sind. Für Mieter, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Lehrer und arme Menschen wurden unter Rot-Rot keine »Handlungsspielräume gewonnen«, sondern ihre Lage hat sich verschlechtert. Was passiert ist:

– Privatisierung von über 100.000 Wohnungen, die Mietsteigerungen und Verdrängung zur Folge hatte: Die Wohnungsbaugesellschaft GSW mit über 65.000 Wohnungen wurde 2004 an ein Konsortium der Finanzinvestoren Goldman Sachs und Cerberus verkauft. Außerdem veräußerten die landeseigenen Gesellschaften 2005 über 30.000 Wohnungen; 5.000 Wohnungen der landeseigenen BVG wurden ebenfalls verkauft. Den enormen Mietsteigerungen der landeseigenen Unternehmen wurde nicht Einhalt geboten.

– Stellenabbau von 35.000 Stellen im öffentlichen Dienst: Seit Amtsantritt von Rot-Rot bis Ende 2010 wurde der öffentliche Dienst von 151.165 auf 115.885 Stellen verkleinert. Laut Harald Wolf waren es am Ende von Rot-Rot noch 105.000 Beschäftigte (berechnet nach Vollzeitäquivalenten). Die Linke Berlin setzte sich noch im Wahlkampf 2011 für eine Mindeststellenzahl von 100.000 ein und hätte damit noch weiteren Stellenabbau hingenommen. Der Abbau traf vor allem die Bezirke: Hier wurde die Zahl der Stellen laut Senatsverwaltung für Finanzen von 48.587 auf 24.117 halbiert. Das Ergebnis ist, dass man in manchen Bezirksämtern heute ein halbes Jahr auf einen Termin wartet oder dass das Wohngeld mehrere Monate verspätet ausgezahlt wird.

– Ausstieg aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband und Absenkung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst: Dem Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband folgte der sogenannte Anwendungstarifvertrag im Jahr 2003, in dessen Folge Löhne und Gehälter um acht bis zwölf Prozent gesenkt und von der bundesweiten Lohnsteigerung abgekoppelt wurden. Gleichzeitig wurden die Arbeitszeiten verkürzt. Das führte für viele Menschen zur Arbeitsverdichtung, da sie nun ein ähnlich hohes Arbeitsvolumen bei kürzerer Arbeitszeit leisten mussten. Die Angleichung an das bundesweite Lohnniveau erfolgt 2017. Im Osten Berlins wurden die Löhne und Gehälter zudem um 1,41 Prozent VBL-Beitrag (Zusatzversorgungsleistung der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst) gekürzt. Den Beamten wurde u. a. das Urlaubsgeld gestrichen.

– Lohn- und Gehaltskürzungen und Ausgründungen in öffentlichen Betrieben: Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) setzte der rot-rote Senat 2004 Gehaltskürzungen von zehn Prozent durch. Den Kollegen des öffentlichen Krankenhauskonzerns Vivantes wurde im Zuge eines ›Notlagentarifvertrags‹ das Urlaubs- und Weihnachtsgeld für mehrere Jahre gestrichen, und Personal wurde abgebaut. Die Argumentation: In beiden Fällen sei das Kostenniveau zu hoch, und nur Kürzungen könnten eine Privatisierung verhindern. Harald Wolf meinte gar, dass öffentliche Unternehmen, für die die Linkspartei.PDS die Verantwortung habe, so gut wirtschaften müssten wie private Unternehmen.8 Den Beschäftigten der Charité wurde angedroht, Hunderten Kollegen betriebsbedingt zu kündigen, wenn sie nicht ebenfalls Lohnkürzungen hinnehmen würden. Außerdem erlaubte der Aufsichtsrat der Charité unter dem damaligen PDS-Senator Thomas Flierl die Ausgründung der Charité Facility Management (CFM). Die Kollegen in der CFM haben bis heute keinen Tarifvertrag.

– Aushöhlung des Ladenschlussgesetzes: Das Berliner Ladenschlussgesetz wurde unter Rot-Rot zu einem der schlechtesten Ladenschlussgesetze bundesweit. Eine weitere Verschlechterung wurde durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt.

– Reduzierung der Personalausstattung an Schulen und Abschaffung der Lernmittelfreiheit: Die Reduzierung der Personalausstattung auf 100 Prozent führt bei Krankheit, Schwangerschaft, Fortbildung oder Personalratstätigkeit zu sofortigem Unterrichtsausfall und hat unfreiwillige Stellenverlagerungen zur Folge. Die GEW Berlin fordert eine Personalausstattung von 110 Prozent. Außerdem wurde die Arbeitszeit für verbeamtete Lehrer um zwei Jahre erhöht. Die Lernmittelfreiheit wurde unter Rot-Rot abgeschafft.

– Ausbau von Überwachung: Rot-Rot erleichterte die Möglichkeit, in allen U-Bahnhöfen und Zügen die Bevölkerung per Video zu überwachen oder bei Verkehrskontrollen zu filmen. Das ging mit der Zustimmung von Rot-Rot zum Abbau von Aufsichtspersonal auf den S-Bahnsteigen und U-Bahnhöfen durch BVG und S-Bahn einher.

– Wasserbetriebe: Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes: Die Berliner Wasserbetriebe wurden unter der großen Koalition vor Rot-Rot teilprivatisiert. Den damaligen privaten Investoren Veolia und RWE wurden skandalös hohe Renditen von acht Prozent garantiert. Unter Rot-Rot wurde 2003 – trotz voriger Kritik der PDS an diesen Gewinngarantien – das Gesetz zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe novelliert, und damit wurden die Gewinngarantien für RWE und Veolia erneut festgeschrieben. Die Linke Berlin trägt dadurch Mitverantwortung für die Geheimhaltung der Verträge zur Absicherung der Profitinteressen. Die Führung der Linke Berlin fiel dann der außerparlamentarischen Initiative des Wasservolksentscheids zur Offenlegung der Verträge in den Rücken und rief (nach eigenen Angaben aus juristischen Gründen) dazu auf, beim Volksentscheid nicht mit Ja zu stimmen, sondern sich zu enthalten – obwohl es einen anderslautenden Beschluss des Landesparteitags gab. Einige haben sogar öffentlich erklärt, warum man mit Nein stimmen sollte. Der Wasservolksentscheid war trotzdem erfolgreich und brachte das Misstrauen gegenüber dem Senat zum Ausdruck.

– Risikoübernahme für die Fondszeichner der Bankgesellschaft: Gerlinde Schermer von der SPD-Linken, schrieb im Neuen Deutschland im Februar 2005 zu Bankenskandal und Risikoabschirmung: »Der Beschluss des Abgeordnetenhauses zur Risikoübernahme war das Eingeständnis des demokratischen Rechtsstaates, der größenwahnsinnige und kriminelle Geschäfte gewissenloser Banker nachvollzieht, den Raum öffentlichen Vermögens zugunsten Reicher legalisiert.«9

Diese Liste lässt sich fortsetzen: Zustimmung im Bundesrat zum Bankenrettungspaket und zur neoliberalen EU-Verfassung, Polizeieinsätze gegen Antifaschisten, Übergabe von zwei Dritteln der Kitas in kommunalem Eigentum an freie Träger, Abschiebungen von Geflüchteten und die Fortführung des Abschiebeknasts Grünau, Räumung alternativer Wohnprojekte, Streichungen im Kulturbereich, Kürzungen der Hilfen zur Erziehung, Reduzierung des Blindengeldes um 20 Prozent, Kürzungen von 75 Millionen Euro im Universitätsbereich, Verbot des Volksbegehrens zum Bankenskandal, Umsetzung von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs, Abschaffung des BVG-Sozialtickets und nach erheblichem Protest seine Wiedereinführung zu einem doppelt so hohen Preis, Schließung von neun Schwimmbädern.

Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) Berlin kommentierte damals zu Recht in ihrem Wahlprogramm 2006: »Eine Politik, die Umverteilung von unten nach oben brav akzeptiert und umsetzt, leistet keinen Beitrag zum Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht und zur Veränderung der Kräfteverhältnisse auf Bundesebene. (…) Das ist nicht links, das ist nicht sozial – sondern neoliberale Sachzwangpolitik.«10