Gezielte Vernichtung von NSU-Neonazi-VS- Akten durch den Staatsschutz

Anzeige gegen Staatsschützer des Verfassungschutzes

Angehörige eines NSU-Opfers wollen die „Aktion Konfetti“ aufklären und reichen Anklage gegen den damals verantwortlichen Referatsleiter im BfV ein.

Erstmals haben Angehörige eines NSU-Mordopfers und ihre Anwälte Strafanzeige gegen Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erstattet.

Die Hinterbliebenen des am 4. April 2006 in Dortmund getöteten Mehmet Kubasik wollen damit die Ermittlungsbehörden zwingen, die Hintergründe einer im November 2011 erfolgten Aktenvernichtung im BfV – der sogenannten „Aktion Konfetti“ – aufzuklären.

Kurz nach dem Auffliegen des NSU waren damals im Bundesamt die Akten mehrerer Thüringer V-Leute aus dem Umfeld des Trios geschreddert worden. Die gestern bei der Kölner Staatsanwaltschaft eingereichte Anzeige richtet sich gegen den damals verantwortlichen Referatsleiter im BfV, Lothar Lingen, dem unter anderem Strafvereitelung, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch vorgeworfen wird.

Anlass für die Anzeige ist die Befragung Lingens am vergangenen Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Thema war dabei auch die „Aktion Konfetti“, die bereits am 10. November 2011 begonnen hatte, einen Tag bevor die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernahm. Lingen hatte an diesem Tag angewiesen, die Akten von sieben V-Leuten zu vernichten, die das BfV in Thüringen im Umfeld des Trios geführt hatte. Der Beamte begründete dies später damit, dass diese Akten „dienstlich nicht mehr notwendig“ gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft Köln, die wegen der „Aktion Konfetti“ zunächst gegen mehrere BfV-Beamte ermittelt hatte, stellte daraufhin im Juni 2012 das Ermittlungsverfahren ein.

Am vorigen Donnerstag wurde nun aber im NSU-Ausschuss eine bislang unbekannte Aussage Lingens öffentlich, die den Schluss nahelegt, dass mit der Aktenvernichtung gezielt die Aktivitäten des BfV im Umfeld des Trios verschleiert werden sollten. So hatte der Beamte in einer Vernehmung durch das BKA im Oktober 2014 gesagt, er habe schon kurz nach dem Auffliegen des NSU geahnt, dass „die Öffentlichkeit sich sehr für die Quellenlage des BfV in Thüringen interessieren“ werde.

„Gezielte Aktenvernichtung“

Die Existenz von „acht, neun oder zehn“ V-Leuten in dem Freistaat hätte zu Diskussionen darüber führen können, „aus welchen Gründen die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der drei eigentlich nicht informiert gewesen sind“, sagte er laut dem von ihm gegengezeichneten Protokoll aus. „Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt, also die Anzahl unserer Quellen (…) in Thüringen nicht bekanntwird, dass dann die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht mehr auftaucht“, sagte Lingen laut BKA-Protokoll. Die brisante Aussage ist zwar der Bundesanwaltschaft bekannt, liegt aber dem Gericht und den übrigen Prozessbeteiligten im Münchner NSU-Verfahren nicht vor.

Aus Sicht der Anwälte der Familie Kubasik belegt Lingens Aussage, dass mit der „Aktion Konfetti“ wichtige BfV-Unterlagen den NSU-Ermittlungen entzogen werden sollten. Für die Angehörigen des Mordopfers und ihre Rechtsanwälte „ist diese gezielte Aktenvernichtung und der Umgang damit ein weiterer Beleg für den fehlenden Aufklärungswillen 8 un ddie mögliche dirtekte Verwicklung in die NSU Aktivitäten) von Verfassungsschutzbehörden und Bundesanwaltschaft“, heißt es in einer Erklärung. „Uns ist Aufklärung versprochen worden, aber das Gegenteil ist der Fall“, sagte die Witwe Elif Kubasik.

Lingen hatte im NSU-Ausschuss vergangene Woche Nachfragen zu seiner BKA-Aussage übrigens verweigert. Der Beamte – der inzwischen ins Bundesverwaltungsamt versetzt wurde, wo er unter anderem Personenvorschläge für Auszeichnungen durch den Bundespräsidenten erarbeitet – begründete dies mit der Gefahr, sich selbst zu belasten.