Linke müssen wieder die Eigentumsfrage stellen - Klaus Blessing und 18 Thesen des OKV zum Sozialismus

Konferenz zur Eigentumsfrage

Klaus Blessing, ehemaliger SED Politiker

Eine sozial gerechte Gesellschaft kann nur auf der Basis gesellschaftlichen Eigentums entstehen. Thesen des Präsidiums des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden

Mitte November findet in Berlin eine Konferenz des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV) zum Thema »Eigentum« statt. Wir dokumentieren die Thesen des OKV-Präsidiums zu dieser Veranstaltung:

Kapital enteignen  - Sozialistisches Eigentum schaffen

1. Seit der Niederlage des Realsozialismus vor einem Vierteljahrhundert und der danach nahezu weltweiten Herrschaft des internationalen Finanzkapitals hat sich die Welt radikal verändert. 25 Jahre weitgehend ungebremster Ausbreitung des Kapitals haben menschlich, politisch, wirtschaftlich, militärisch, sozial, kulturell, juristisch und ökologisch verheerende Auswirkungen. Diese Entwicklung verstärkt sich ständig. Milliarden Menschen werden die elementarsten Menschenrechte auf Leben, Ernährung, Wohnung, Gesundheit und Bildung vorenthalten. Abermillionen sterben durch Kriege, Flucht, Hunger, Krankheit.

2. Widerstand gegen diese die Existenz großer Teile der Menschheit bedrohenden Entwicklungen regt sich – wenn überhaupt – gegen Einzelerscheinungen: Krieg, TTIP und CETA, Umweltzerstörung, Finanzkrisen etc. Das ist nicht zu unterschätzen und sollte wesentlich erweitert werden, ohne Vorbehalte.

3. Die Wurzeln für die zerstörerischen Erscheinungen werden damit jedoch weder bloßgelegt noch bekämpft. In regelmäßigen Abständen wird medien­wirksam die perverse Ungerechtigkeit in der Verteilung des Reichtums thematisiert: Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr Vermögen als die »restlichen« 99 Prozent. Konzentrationsprozesse nehmen weiter zu. Wirksame Schlussfolgerungen daraus werden nicht gezogen, sondern statt dessen wird über die Schließung von Steuerschlupflöchern fabuliert.

4. Die grundlegende Ursache für das Elend auf der Welt liegt im kapitalistischen System. Es beruht auf dem Privateigentum an Produktions- und Finanzmitteln in immer weniger Händen. Es ist die Basis für die weltweite Ausbeutung von Mensch und Natur. Wenn man die zerstörerischen Erscheinungen beseitigen will, muss dieses Privateigentum beseitigt werden.

5. Vielen Linken – auch Teilen in der Partei Die Linke – ist diese simple, historisch bewiesene Binsenweisheit abhanden gekommen. Statt das System durch Beseitigung des Privateigentums überwinden zu wollen, wird die weltweit gescheiterte Illusion geweckt, durch Mitregieren und Mitbestimmen eine sozial gerechte Gesellschaft erreichen zu können. Abenteuerliche Vorstellungen über »aufgeklärte Eliten«, »einen im Interesse der Allgemeinheit regulierenden Staat«, »Mitarbeitergesellschaften« und »öffentliche Gesellschaften«, »gleichberechtigte Weltregierungen« und anderes mehr machen die Runde und halten Einzug in die praktische »linke« Politik.

6. Die Grundfrage der Bewegung wird »vergessen und ausgeklammert«. Das »Manifest der kommunistischen Partei« postuliert: »In diesem Sinne können die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen«. Das ist keine theoretisch zu diskutierende Auffassung, sondern bis heute die Erfahrung aller geschichtlich revolutionären Gesellschaftsveränderungen.

7. Das Kapital und seine politische Klasse haben diese Lektion – ohne Marx studiert zu haben - verinnerlicht. Bei der konterrevolutionären Anne­xion der DDR war es das dominierende Ziel, das Volkseigentum in private Hände zurückzutransformieren. Diese Maßnahmen waren von langer Hand seit Adenauers Forschungsbeirat für gesamtdeutsche Fragen vorbereitet.

8. Das Ergebnis: Bauernland zurück in Junkerhand. Volkseigentum in den Bankrott treiben und dann für einen »Appel und ein Ei« an private westdeutsche Hände verschenken, Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen, die Jugend ihrer Perspektive berauben, ganze Landstriche in Ödland verwandeln.

9. Es ist zum vorrangigen Bedürfnis heutiger »linker« Politiker geworden – insbesondere, wenn sie Regierungsverantwortung anstreben oder ausüben –, das Volkseigentum der DDR, insbesondere das staatliche Eigentum, als Ursache für Mangelwirtschaft, Unproduktivität und Pleitewirtschaft zu diffamieren. Die Folge ist, dass die Menschen von einer Rückbesinnung zu einer sozial gerechten sozialistischen Gesellschaft abgehalten werden. Statt dessen bedienen sich diese »Linken« hohler Phrasen über eine sozial gerechte »Umverteilung von oben nach unten«. Derweil verteilt die praktische Politik weiter von unten nach oben um.

10. Das sozialistische Eigentum in der DDR bestand gemäß Verfassung im gesamtgesellschaftlichen Volkseigentum, genossenschaftlichen Gemeineigentum und Eigentum gesellschaftlicher Organisationen. Es war die ökonomische Basis für ein Gesellschaftssystem des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit. Befreit vom Zwang, unter allen Umständen Profit zu machen, war der sozialistischen Wirtschaft die Ausbeutung des eigenen Volkes und fremder Völker fremd. Sie nahm Produktivitäts- und Effektivitätsverluste in Kauf, unterstützte solidarisch unterentwickelte Völker, statt sie auszuplündern.

11. Auf der Grundlage des sozialistischen Eigentums und der staatlichen Planung vollzog sich in der DDR eine wirtschaftliche Entwicklung, die im Tempo und in der Stabilität die der Bundesrepublik übertraf. (…)

12. Im Zentrum der Diffamierung der sozialistischen Eigentumsordnung steht das staatliche Eigentum, das in der DDR in der Tat die dominierende Größe war. Es ist unstrittig, dass bei der Verstaatlichung der Bogen überspannt wurde und auch Kleinunternehmen, Gewerbetreibende und Einzelhandel weitgehend staatlich waren. Eigeninitiative wurde dadurch unterdrückt. Unstrittig ist jedoch auch, dass durch Staatsbesitz von Grund und Boden, Industrie, öffentlichen Dienstleistungen und Finanzwesen die ökonomischen Grundlagen geschaffen wurden, um eine sozial gerechte und friedliche Gesellschaftsordnung auszugestalten.

13. Gesellschaftliches Eigentum allein kennzeichnet noch nicht den Sozialismus. Es ist jedoch seine unabdingbare Voraussetzung und ökonomische Basis. (…)

14. Die heute kursierenden Vorstellungen, eine sozial gerechte Gesellschaft ohne Staatseigentum auszugestalten, sind auf Sand gebaut. Genossenschaften, Mitarbeitergesellschaften sind keine gesamtgesellschaftliche Alternative. (…)

15. Dem Staat muss die Möglichkeit gegeben werden, gesamtstaatliche Maßnahmen über die betrieblichen zu stellen. (…)

16. Die Lösung besteht auch nicht in der »umfassenden basisdemokratischen Mitbestimmung« in Wirtschaftsfragen durch die Beschäftigten oder das »Volk«. Wenn linkspopulistische Forderungen erhoben werden, die Beschäftigten mögen über das »Was«, »Wofür« und »Wie« ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit selbst entscheiden, ist das selbstzerstörerisch. Über das »Was« und »Wofür« haben verantwortliche Leiter zu entscheiden, die darüber Rechenschaft abzulegen haben. »Das Volk« ist nicht in der Lage, die komplizierten wirtschaftlichen Prozesse – auch wegen ständig »mediengerecht« abgesenkten Bildungsstandes – zu überblicken. Mitbestimmung ohne die Besitzverhältnisse zu verändern ist ein Feigenblatt. Über das »Wie« hatten die Beschäftigten in der staatswirtschaftlichen DDR ein Mitspracherecht, von dem heutige Beschäftigte nur träumen können.

17. Die Veränderung der bestehenden Besitzverhältnisse ist eine Forderung mehrerer bundesdeutscher Landesverfassungen und gemäß Grundgesetz zulässig: »Eigentum verpflichtet«. Diese Bestimmungen werden durch die herrschende Politik nicht nur ignoriert, sondern ins Gegenteil verkehrt. »Linke« Opposition negiert oft diese Bestimmungen und unterlässt es, mit allen verfügbaren politischen und juristischen Möglichkeiten um deren Durchsetzung zu ringen. Damit unterlässt sie es auch, um eine neue, den Kapitalismus überwindende, Gesellschaftsordnung zu ringen. (…)

18. Da die parlamentarischen Parteien versagen, sind Volksbewegungen und außerparlamentarische Initiativen notwendig. Wir brauchen eine linke Volksbewegung ohne Gier nach Regierungsverantwortung als treibende Opposition. Dadurch ist Rechtspopulisten, die für sich in Anspruch nehmen, das System verändern zu wollen, das Wasser abzugraben. Prägendes Merkmal linker alternativer Politik sollte ein klares, in Inhalt und Sprache verständliches, antikapitalistisches Konzept ohne dogmatische Verklärungen sein, in dessen Mittelpunkt die Vergesellschaftung des Eigentums steht.

Konferenzprogramm

Unter dem Titel »Das sozia­listische Eigentum – Grundlage jeder sozial gerechten Gesellschaft« veranstaltet das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden (OKV) am Donnerstag, dem 17. November, von 16 bis 20 Uhr im Münzenbergsaal des Gebäudes am Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, seine zweite Konferenz im Rahmen der Reihe »Das OKV diskutiert«.

Es sprechen:

– Dr. Klaus Blessing (Vizepräsident des OKV): Zum Ziel der Konferenz,

– Patrik Köbele (Vorsitzender der DKP): Die Eigentumsfrage ist aktuell,

– Prof. Dr. Erich Buchholz (Jurist): Die Enteignung der Ostdeutschen,

– Dr. Erhard Crome (Rosa-Luxemburg-Stiftung): Ambivalenzen des sozialistischen Eigentums im »realen Sozialismus«,

– Prof. Dr. Götz Dieckmann (Rot-Fuchs-Förderverein): Das sozialistische Eigentum – die Grundfrage des Sozialismus,

– Christa Bertag (ehemalige Generaldirektorin des Kosmetik-Kombinats Berlin): Die Nutzung des gesellschaftlichen Eigentums im Kombinat der DDR,

– Walter Listl (Institut für So­zial-ökologische Wirtschaftsforschung e. V., München): Die Eigentumsfrage und ihre Antwort,

– Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup (Westfälische Hochschule Witten): Eigentum verpflichtet.

Nach der anschließenden Diskussion spricht der Präsident des OKV, Dr. Matthias Werner, abschließend über »Anforderungen an linke Politik in der Eigentumsfrage«.