IZ History: Butterwegge verurteilt  Neoliberalismus

Der Markt zersetzt als vorherrschender bzw. universeller Regulierungsmechanismus die Gesellschaft im Säurebad der Konkurrenz  ( Karl Marx)  

Nach dem Regierungswechsel von Schmidt zu Kohl ging der Neoliberalismus, dem Vorbild Margaret Thatchers in Großbritannien und Ronald Reagans in den USA folgend, auch in der Bundesrepublik von einer Fundamentalkritik am Interventionsstaat zur rigorosen »Reform«-Politik über. Seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Kollaps aller »realsozialistischen« Staatssysteme in Ost- und Ostmitteleuropa beeinflussen Neoliberale und Wirtschaftslobbyisten die öffentliche Meinung, das soziale Klima und die politische Kultur unseres Landes noch stärker. Offenbar entfiel mit der – gar nicht mal attraktiven – Systemalternative die letzte Sperre gegenüber der Transformation des rheinischen Modells der Sozialen Marktwirtschaft zum schweinischen Finanzmarkt- und Aktionärskapitalismus, wie er sich nunmehr fast auf der ganzen Welt durchsetzte.

Mit einer Deregulierung der Märkte sowie einer (Re-)Privatisierung öffentlicher Güter und sozialer Risiken zielt der Neoliberalismus auf »Kapitalismus pur«, also eine Marktgesellschaft ohne entwickelten Wohlfahrtsstaat und wirtschaftspolitischen Interventionismus. Während der Interventionsstaat abgelehnt wird, avanciert der Markt zum universellen Regelungsmechanismus, obwohl er die Gesellschaft im »Säurebad der Konkurrenz« (Karl Marx) zersetzt, sie in Arm und Reich spaltet sowie die Rivalität und Brutalität unter den Menschen tendenziell fördert. Neoliberal zu sein meint folglich nicht nur, den Markt für die effizienteste Regulierungsinstanz der Gesellschaft zu halten und gegenüber dem (Sozial-)Staat auf Distanz zu gehen. Neoliberal zu sein bedeutet auch mehr, als »Privat vor Staat« zu praktizieren. Neoliberal heißt letztlich, unsozial und unsensibel für die wachsenden sozialen Probleme zu sein. Indem systematisch immer mehr Gesellschaftsbereiche dem Prinzip der Profitmaximierung unterworfen werden, nimmt die Sphäre der freien Entscheidung von Individuen, die zu »Kunden« und damit zu Objekten der Werbeindustrie degradiert werden, ebenso wie die Freiheit demokratischer Institutionen ab.

Es gibt Anzeichen dafür, daß der (Wohlfahrts-)Staat eine Renaissance erlebt und die Periode der Privatisierung von Unternehmen, Daseinsvorsorge und sozialen Risiken sich ihrem Ende zuneigt. Noch ist die neoliberale Hegemonie jedoch ungebrochen und verschärft nicht nur die soziale Asymmetrie, bleibt vielmehr auch eine Gefahr für die Demokratie, weil sie politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse entwertet. Viele junge Menschen resignieren vor der scheinbaren Übermacht des Ökonomischen gegenüber dem Politischen und ziehen sich ins Privatleben zurück, statt sich für eine bessere Welt, wie sie etwa attac vorschwebt, zu engagieren. Gleichwohl bleibt zu hoffen, daß die erste wirklich globale Finanzmarktkrise zur Überwindung der öffentlichen Meinungsführerschaft des Marktradikalismus und zur Rehabilitation der Staatsintervention beiträgt.

 

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