Die Konturen des Sozialismus von Jeremy Corbyn 

Warum der Chef der britischen Labour-Partei eine "neue sozialistische Gesellschaft" anstrebt. ÖPP beerdigen 

Karl Marx is back in London 

Der Labour Chef Jeremy Corbyn ist bekenneder Antikapitalist und zudem auch noch Antizionist . Das ist Grund genug,  warum er auch manchen deutschen Linken ein Dorn im Auge ist - Auszüge aus der "Zeit", 

Die  Arbeiterpartei will  wieder gegen die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das Patriarchat des Kapitals kämpfen - so das Credo der  neuen Labour-Partei .

In den letzten 40 Jahren, in denen Großbritannien zum Inbegriff des Wirtschaftsliberalismus wurde, fühlte sie sich in ihrem Kampf auch innerhalb ihrer Labour-Partei politisch isoliert. Doch an diesem Samstag im Februar scheint sich das geändert zu haben. Labours Parteichef Jeremy Corbyn hat einige Hundert Aktivisten von der Basis in das Konferenzzentrum eingeladen.

Er spricht sie mit "Genossen" an, und er stellt den Entwurf einer "neuen sozialistischen Gesellschaft" vor. Es scheint, als würden sich ausgerechnet die traditionsliebenden Briten nach einem sozialistischen Königreich sehnen. Wenn an diesem Sonntag Wahlen wären, würde Jeremy Corbyn wahrscheinlich gewinnen.

Was er dem Wahlvolk als echten Sozialismus verkauft, erscheint jenseits der Insel ebenfalls ziemlich revolutionär. Jeremy Corbyn sagt, er wolle keineswegs die reine britische Verstaatlichungspolitik des 20. Jahrhunderts wiederauferstehen lassen, die an den Wirtschaftszentralismus der DDR erinnerte.

Stattdessen wolle er  auch neue  Form  der Vergesellschaftung  des öffentlichen Eigentums einführen - auch kommunale und genossenchaftliche bzw. Belegschaftseigentum,  Ganz oben auf seiner Liste stehen dabei die Versorgungsbetriebe der  öffentlichen Daseinsvorsorge  - aber auch die Banken und die Bahn-Infrastruktur. 

Mit der Privatisierung der Wasserversorger begann Großbritannien Ende der achtziger Jahre mit dem Abbau des staatlichen Monopols bei Versorgungsbetrieben. Es galt damals als unwirtschaftlich, den Steuerzahler koste es nur unnötig Geld. Also wurde die gesamte Infrastruktur (Brunnen, Pumpwerke, Leitungssysteme sowie die Entsorgung und Aufbereitung von Abwasser) an private Unternehmen abgegeben. Es entwickelte sich ein Markt, auf dem heute 20 Firmen miteinander in Konkurrenz stehen.

Der Erfolg der Privatisierung ist  mehr als umstritten. Im Kern ist sie gescheitert. 
 
Nach Angaben des Industrieverbandes UK Water haben die Unternehmen "über 130 Milliarden Pfund in die Modernisierung der Infrastruktur investiert, die den Kunden eine erstklassige Wasserversorgung garantiert". Das wären umgerechnet 148 Milliarden Euro, und es klingt, als sei das Modell ein Segen.
 

Eine Studie der Universität Greenwich kommt allerdings zu dem Schluss, dass jeder britische Haushalt durch die Privatisierung heute rund 100 Pfund im Jahr mehr für sein Wasser bezahlt als früher. "Zwischen 2006 und 2016 erwirtschafteten die Wasserversorger einen Gewinn nach Steuern von 18,8 Milliarden Pfund", heißt es in der Studie. "Davon zahlten sie 18,1 Milliarden Pfund an Dividenden an ihre Anleger aus." Gleichzeitig hätten sie einen Schuldenberg angehäuft, um in die Infrastruktur zu investieren, was mittlerweile über 500 Millionen Pfund im Jahr an Zinsen kostet. "Unterm Strich ist mit der Privatisierung kein Modell entstanden, das langfristig wirtschaftlich bestehen kann", erklärt Kate Bayliss, eine der Autorinnen der Studie. Eher ist es ein Modell, das ständig vor der Pleite steht.

Jeremy Corbyn und sein finanzpolitischer Sprecher John McDonnell sehen sich dadurch in ihrer Überzeugung bestätigt. "Die Privatisierung hat versagt", erklärt John McDonnell den Parteigenossen auf der Konferenz im Februar. Die nächste Labour-Regierung werde "öffentliche Dienstleistungen zu einem demokratischen Eigentum in den Händen der Arbeiter machen". Es gehe nicht um die Verstaatlichung zugunsten eines ineffizienten, zentralistisch verwalteten Apparates, so McDonnell. Stattdessen werde die Wasserversorgung künftig auf lokaler Ebene von den Kommunen verwaltet werden, und zwar "ohne jegliche Kosten". Anstatt die Versorger zu ihrem derzeitigen Marktwert von rund neun Milliarden Pfund zu kaufen, plant McDonnell, sämtliche Aktien der Anleger gegen Staatsanleihen einzutauschen. Die anfallenden Zinsen würden dann aus dem operativen Gewinn der Unternehmen gedeckt werden.
 
Ähnlich will Labour auch die Verstaatlichung der Stromversorger abwickeln. Dies ist ein Markt, von dem auch die konservative Premierministerin Theresa May sagt, er sei "ein Scherbenhaufen", weil er es den Energiefirmen erlaube, ihre Kunden "systematisch abzuzocken".
 
Tatsächlich liegen die Strompreise in Großbritannien weit über dem europäischen Durchschnitt, und Verbraucherschützer meinen, dass britische Haushalte pro Jahr insgesamt fast eine Milliarde Pfund zu viel bezahlen. Nach Ansicht von Jeremy Corbyn hat hier die Regulierungsbehörde "so krass versagt, dass ein neues Eigentumsmodell dringend erforderlich ist". Das könne auch im Kampf gegen den Klimawandel helfen. Weil, so die Logik, nur ein von der öffentlichen Hand geführter Energiemarkt dafür sorgen werde, binnen zwölf Jahren 60 Prozent des Stromverbrauchs auf der Insel aus erneuerbarer Energie zu gewinnen. Ein Klimaziel, das weit ambitionierter ist als das der derzeitigen Regierung.

Als Nächstes stellt Labour die Verstaatlichung der britischen Bahn in Aussicht.

Dass bei der Privatisierung Anfang der neunziger Jahre schwere Fehler gemacht wurden, steht außer Frage. Damals wurde das Streckennetz samt Brücken und Tunnels und Signalanlagen an ein Infrastrukturunternehmen verkauft und die Bahnlinien separat an Franchisenehmer. Das Ergebnis waren zu geringe Investitionen in den Erhalt des Schienennetzes.

Nach einer Reihe schwerer Zugunglücke wurde die Privatisierung teilweise wieder rückgängig gemacht. Seit 2014 ist zumindest die Bahninfrastruktur wieder in der Hand des Staatsunternehmens Network Rail. Die Bahnlinien aber werden nach wie vor von privaten Unternehmen betrieben. Genau wie im Fall der Versorger hat das allerdings nicht zu niedrigeren Preisen für die Kunden geführt. Im europaweiten Vergleich zahlen die Briten der OECD zufolge durchschnittlich 60 Prozent mehr fürs Bahnreisen. Gleichzeitig wurde nur ein Bruchteil des Streckennetzes elektrifiziert, kann also ohne luftverpestende Dieselloks betrieben werden.

Hier versprechen Corbyn und McDonnell ebenfalls Besserung durch die staatliche Hand. Auch in diesem Fall soll es den Steuerzahler kein zusätzliches Geld kosten. Derzeit teilen sich 41 Franchisenehmer das Streckennetz. Mit dem Ablauf ihrer Verträge würde, unter einer Labour-Regierung, der Staat nach und nach das operative Geschäft selber übernehmen.

So mangelhaft die privatisierte britische Bahn auch fährt, Labours Modell kann wohl nicht alle Probleme lösen. Jonathan Cowie, Verkehrsökonom an der Napier-Universität Edinburgh, erklärt, dass der Staat auch die langfristigen Investitionsverpflichtungen der Franchisenehmer übernehmen müsste, und die liegen derzeit bei knapp 17 Milliarden Pfund. Außerdem sieht er ein Problem bei der Abwicklung der Schuldenlast der Unternehmen von 50 Milliarden Pfund. "Ein Großteil davon sind Rentenansprüche der Mitarbeiter, und die werden am Ende an der Regierung hängen bleiben", so Cowie. Für den Steuerzahler könnte es also doch teuer werden.

Schließlich will Labour die Rückkehr des Staates stärken, indem öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) "ein für alle Mal beerdigt" würden, so Jeremy Corbyn. Die ÖPP-Projekte wurden in den neunziger Jahren eingeführt, um dem Staat die Investitionslast abzunehmen. Private Investoren bauten Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und Altenheime und verpflichteten sich zur Instandhaltung. Im Gegenzug zahlt der Staat Miete an die Investoren. Nach Angaben des britischen Rechnungshofes bestehen derzeit über 700 ÖPP-Verträge. Verbunden sind damit jährliche Mietzahlungen von 10,3 Milliarden Pfund. Kritiker des Modells haben von Anfang an bemängelt, dass die ÖPP-Dienstleister den öffentlichen Dienst bei den Verhandlungen über Laufzeiten und Mietverpflichtungen gnadenlos über den Tisch ziehen. Tatsächlich erklärt auch der Rechnungshof im Januar in einem Bericht, dass allein in den derzeit existierenden Verträgen Verpflichtungen für den Steuerzahler in Höhe von 199 Milliarden Pfund enthalten seien. "Dass so Gelder im Sinne der Öffentlichkeit ausgegeben werden, ist nicht erkennbar", heißt es in dem Bericht.

Abgesehen davon, dass eine Labour-Regierung keinesfalls neue ÖPP-Verträge abschließen will, ist noch nicht klar, wie sie mit den bestehenden Verträgen umgehen würde. Nur so viel hat John McDonnell erklärt: Die Summe der Steuern, die ÖPP-Dienstleister sparten, indem sie ihre Gelder nach Jersey und Guernsey oder sonst wohin verschöben, belaufe sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. "Davon werden wir uns einiges wiederholen", sagt er.

Das ist eine unverhohlene Drohung an das Kapital von dem Mann, der nach den nächsten Wahlen möglicherweise Großbritanniens Finanzminister wird. Es ist genau der Ton, der Shirley Dobson gefällt. Und Karl Marx wäre sicherlich auch zufrieden.