Tödliche Doppelmoral 

Der Westen und der Krieg in Gaza

Von Sevim Dagdelen (Bündnis Sahra Wagenknecht, MdB)

Die UN-Vollversammlung debattiert seit Tagen über den Krieg im Nahen Osten. Auch Verbündete der USA und der NATO in der Region wie Jordanien prangern die humanitäre Situation im Gazastreifen an und haben eine Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand vorgelegt. Die jordanische Königin Rania von Jordanien wies auf eine »eklatante Doppelmoral« hin, weil »die zivilen Opfer im Gazastreifen« im Gegensatz zu Opfern des terroristischen Angriffs der Hamas auf Israel nicht verurteilt würden. Und in der Tat weigert sich die Bundesregierung, eine völkerrechtliche Einordnung der Bombardierungen des Gazastreifens durch die israelische Luftwaffe vorzunehmen. In der EU verhindert die Bundesregierung ein Eintreten für eine humanitäre Feuerpause.

Wer widerspricht, nicht etwa aus humanitären Gründen, sondern aus der geopolitischen Einsicht einer völligen Selbstisolierung des Westens, wie der Vorsitzende der Münchner »Sicherheitskonferenz«, Christoph Heusgen, ein eingefleischter Transatlantiker, der »vor einem Flächenbrand« in der Region warnte, sollte Israel die angekündigte Bodenoffensive beginnen, wird als Unterstützer der Hamas diffamiert und ausgegrenzt. Wie gesagt, Heusgen ist keine Friedenstaube, doch mit absurden Vorwürfen wird versucht, den öffentlichen Diskurs drastisch zu verengen und die Fortführung und Ausweitung des Krieges als alternativlos darzustellen. Die Verbündeten des Westens in der arabischen Welt sind auch deshalb angesichts der bedingungslosen Unterstützung für eine Fortsetzung des Krieges, der vor allem Zivilisten trifft, konsterniert. Auch vor dem Hintergrund der massiven Unterstützung der USA mittels Waffen und Finanzmittel und der engen Abstimmung mit der NATO. Nur mit einer bedingungslosen Unterstützung lässt sich plausibel erklären, dass die USA gegen eine humanitäre Feuerpause im UN-Sicherheitsrat ihr Veto eingelegt haben. Es wird überdeutlich, dass es in letzter Instanz die Vereinigten Staaten sind, die eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 und einem palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt und internationalen Sicherheitsgarantien für Israel verhindern.

Der Krieg führt aber nicht nur zu einer internationalen Selbstisolierung des Westens infolge der zur Schau gestellten tödlichen Doppelmoral, sondern auch zu einem Kollaps der Vernunft im Westen selbst. Ablesbar etwa an der Verschwörungsideologie der selbsterklärten Militärexpertin und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. »Und man muss eines klar machen: Diese beiden Konflikte, diese beiden Angriffe – Russlands Angriff auf die Ukraine, der terroristische Angriff der Hamas auf Israel – hängt (sic!) unmittelbar zusammen. Übrigens war das am Tag von Putins Geburtstag, der 7. Oktober. Das sind alles keine Zufälle«, gab sie im ZDF-Interview unhinterfragt und unwidersprochen zum besten. Die Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges lässt sich besser fast nicht dokumentieren. Sich nicht dumm machen zu lassen und darauf zu beharren, dass es keine militärische Lösung für diesen Konflikt gibt und es dringend einen humanitären Waffenstillstand braucht, ist und bleibt das Gebot der Stunde.

Sevim Dagdelen ist Mitglied des Deutschen Bundestags für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), zuvor für DIE LINKE. 

 

Janine Wissler (Linke) fordert Nachzahlung von Sevim Dağdelen - DER SPIEGEL