Jürgen Meyer IZ 24.7. 2025

Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer sind am Dienstagabend in Kyjiw und anderen Städten auf die Straße gegangen – nicht gegen Russland, sondern gegen ein neues ukrainisches Gesetz.
 
Dieses Gesetz betrifft zwei der wichtigsten Institutionen zur Korruptionsbekämpfung:
– das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU)
– und die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO).
 
Beide galten bisher als weitgehend unabhängig – ein zentrales Reformversprechen der Ukraine gegenüber der EU und den USA.
 
Mit dem neuen Gesetz aber werden zentrale Kontrollmechanismen ausgehebelt:
• Die politische Kontrolle über die Leitung dieser Behörden wird gestärkt – insbesondere durch den Präsidenten selber.
• Externe, unabhängige Auswahlkommissionen werden entmachtet oder umgangen.
• Die Ernennung und Abberufung der Behördenleitungen liegt nun im Einflussbereich der Präsidialmacht.
 
Mit anderen Worten: Das System, das Korruption aufdecken soll, wird nun selbst politisch kontrolliert – vom höchsten Amt des Landes.
 
Dass Präsident Selenskyj dieses Gesetz auch noch verteidigt, empört viele. Denn diese Entscheidung trifft auf eine Bevölkerung, die seit drei Jahren Krieg, Armut, Ausbeutung und Oligarchenwillkür erträgt – und sich fragt:
Was passiert mit all dem Geld, das Europa und die USA in unser Land schicken?
Seit Jahren gibt es Berichte über verschwundene Hilfsgelder, nie angekommene Waffenlieferungen, schwarze Märkte für westliches Kriegsgerät und überteuerte Beschaffungen im Verteidigungsministerium.
 
Auch internationale Organisationen haben wiederholt kritisiert, dass die Ukraine bei der Verwendung von Mitteln kaum Rechenschaft ablegt, obwohl es um Milliardenbeträge geht.
 
Trotz all dem: Die westliche Unterstützung für Selenskyj blieb ungebrochen.
 
Die EU hat:
• Waffen geliefert und Milliarden überwiesen – in vollem Wissen um die strukturelle Korruption im Land,
• kaum öffentliche Kritik geäußert, als Selenskyj Medienhäuser verbieten, Oppositionsparteien schließen und Präsidentschaftswahlen aussetzen ließ,
• und sich stets hinter der Formel verschanzt, man verteidige „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“.
Warum diese Duldung?
1. Geopolitik schlägt Prinzipien:
Für den Westen war (und ist) Selenskyj ein nützlicher Frontmann gegen Russland. Wer an seiner Legitimität rüttelt, rüttelt indirekt an der gesamten westlichen Strategie – inklusive Waffenlieferungen, Sanktionspolitik und medialem Framing.
 
Kritik an Selenskyj hätte bedeutet, die eigene Rolle und Zielsetzung zu hinterfragen. Das war politisch nicht gewollt.
 
2. Narrativschutz:
Die Öffentlichkeit soll glauben, der Krieg sei ein klarer Kampf Gut gegen Böse.
Korruption, Oligarchennetzwerke, autoritäre Tendenzen, Repressalien gegen kritische Stimmen – all das passt nicht in dieses schwarz-weiße Bild.
Deshalb wird über vieles geschwiegen, relativiert oder ausgelagert, was das „Heldennarrativ“ stören könnte.
 
Die Kumpanei von Selenskiy mit Nazi-Brigaden, die er mehrfach in die ukrainische Armee integrierte, wird im Westen gleichgeschaltet medial verschwiegen. 
Doch was genau hat Europa da eigentlich verteidigt?
 
Eine Regierung, die ihre Antikorruptionsbehörden schwächt und die selber korrupt bis zur Kinnlade ist?
Einen Präsidenten, der die Gewaltenteilung aushebelt?
Einen Autokraten, der sich beharrlich Wahlen verweigert?
 
Ein System, in dem Rechenschaftspflicht und Transparenz durch „präsidiale Technikalität“ ersetzt werden?
 
Und wie glaubwürdig ist eine „Solidarität“, die blind gegenüber Machtmissbrauch bleibt – solange der Partner auf der „richtigen“ geopolitischen Seite steht?
Die Proteste in Kyjiw sind kein „Zwischenfall“. Sie sind ein letzter Warnruf umzukehren.
Nicht nur an Selenskyj – sondern auch an Europa.