Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)  legt Entwurf für Europawahlprogramm vor

 

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will die Europäische Union im Falle radikal umbauen und zurechtstutzen und unter anderem die bisherige Klimaschutzpolitik abwickeln. So soll der Handel mit CO2-Zertifikaten abgeschafft werden. ,,Dieser Zertifikatehandel ist völlig ungeeignet, um klimapolitische Ziele zu erreichen", heißt es im Entwurf des Europa-Wahlprogramms der neuen Partei und wird als Augenwischerei und Geschäftsmodell der Umweltsünder und einiger weniger Spekulanten bezeichnet, die sich mit den Zertifikaten eine goldene Nase verdienen  Das BSW fordert darüber hinaus die unbefristete Nutzung von Verbrennermotoren und die Rückkehr zu Importen von Öl und Gas aus Russland.

Das BSW wurde vergangene Woche gegründet und will bei der Europawahl am 9. Juni erstmals antreten. Der Programmentwurf soll auf dem Gründungs- und Europawahlparteitag am 27. Januar im Kino "Kosmos" Berlin besprochen und beschlossen werden. 

Für ,,Nichtumsetzung von EU-Verträgen und sonstigen Vorgaben der €U"

Das Papier übt fundamentale Kritik an der EU als devoter Vollstrecker der Interessen von Banken, Konzernen und Superreichen und ihrer jetzigen antidemokratisch-zentralistischen Strukturen und fordert daher einen radikalen Rückbau und Umbau in ein föderales System souveräner Nationalstaaten, das lediglich in zentralen Grundsatzfragen gemeinsame Mindeststandards festlegt. Wörtlich heißt es: ,,Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee." Als Ziel wird proklamiert: ,,Was lokal, regional oder nationalstaatlich besser und demokratischer regelbar ist, darf nicht der Regelungswut der EU-Technokratie überlassen werden."

Die EU-Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und Lissabon, die diesen völlig verfehlten Kurs der EU und ihren technokratischen Charakter zementieren, sollen aufgekündigt werden, notfalls auch nur einseitig durch Deutschland. Gegebenenfalls solle sich Deutschland auch an bestimmte EU-Regeln NICHT halten: ,,Das BSW tritt für die Nichtumsetzung von EU-Vorgaben auf nationaler Ebene ein, wenn sie wirtschafts-, energie- und migrationspolitischer Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen". Des Weiteren wolle das BSW Volksentscheide, die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament sowie den Europarat als zentrale Institutionen der politischen Entscheidungen der EU statt der bürgerfernen EU-Kommission und des EU-Rates. 

Gemeinsame Mindeststandards auf europäischer Ebene strebt das BSW bei Arbeitsbedingungen und sozialstaatlichen Prinzipien, bei Ökologie sowie bei der Mitbestimmung in Politik und Wirtschaft an. Und natürlich auch in Bezug auf die Freiheit der Medien und eine unabhängige Justiz, im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerverschwendung, beim Verbraucherschutz, bei der Regulierung und Kontrolle von Banken, bei der Besteuerung von Vermögenden und reichen Erben und der Besteuerung von Banken und Konzernen, beim Einsatz für Frieden, internationale Solidarität und Entwicklungshilfe und wenn es darum geht, eine auf Gemeineigentum basierende Wirtschaftsordnung aufzubauen. 

Im BSW-Programmentwurf für die Europawahl heißt es weiter, der EU-Haushalt dürfe nicht weiter wachsen und die EU solle keine eigenen Einnahmen durch eigene Steuererhebungen bekommen. Über die Höhe der Einzahlungen in den EU-Topf und wie viel die einzelnen Mitgliedsstaaten davon zurückbekommen, müsse neu verhandelt werden. Es könne nicht sein, dass Deutschland der größte Nettozahler der EU ist, weil von den 40 Milliarden Euro brutto nur 18 Milliarden Euro zurückfließen, so dass netto 22 Milliarden Euro jährlich von Berlin nach Brüssel gehen. Zudem sollten vorerst keine neuen Mitglieder dazukommen, auch nicht die Ukraine, die das BSW als korrupt, feindselig gegenüber Russland und faschistisch ansieht. Nötig sei daher ein ,,Moratorium für die EU-Erweiterung".

Forderung nach mehr Eigenständigkeit Europas auf der Weltbühne

Der Programmentwurf plädiert auch für deutlich mehr Eigenständigkeit: ,,Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte und Vasall der USA zu sein." Europa dürfe auch ,,nicht länger eine digitale Kolonie der Vereinigten Staaten sein", sondern brauche eine eigenständige digitale Infrastruktur.

Weiter heißt es: ,,Der Krieg in der Ukraine ist ein blutiger Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland." Der direkte Krieg sei zwar ,,militärisch von Russland begonnen (worden), aber er wäre vom Westen verhinderbar gewesen und hätte längst beendet werden können". Auch weißt das BSW daraufhin, dass die ständige Einkesselung Russlands durch die NATO-Osterweiterung samt militärischer Infrastruktur bis hin zu Raketenbasen, martialische Manöver zu Land, Luft und Wasser, der Putsch in der Ukraine und die Aufrüstung selbiger seit 2014 - vor allem aber seit 2022 - und die Lage im Donbass - Unterdrückung, Entzug der finanziellen Grundlage durch Kontosperrungen und der regelrechte Genozid - Auslöser für die militärische Intervention Russlands war. Diese werde selbstverständlich nicht gerechtfertigt, aber der Krieg sei nicht im luftleeren Raum entstanden und die Vorgeschichte dürfe nicht ausgeblendet werden. Russland wollte nicht hinnehmen, dass die Ukraine als Rammbock gegen Russland in Stellung gebracht wird, seine Grenzen sichern und die Menschen im Donbass befreien und schützen. Nötig seien ein Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, die auch einen neutralen und blockfreien Status der Ukraine beinhalten, sowie erneute Referenden auf der Krim und im Donbass unter UNO- und OSZE-Aufsicht. Die faschistischen Paramilitärs sind zu entwaffnen und finanziell auszutrocknen. Um Russland zur Aufnahme von Verhandlungen zu motivieren, sollte für diesen Fall der sofortige Stopp der militärischen Unterstützung der Ukraine, insbesondere der Rüstungsexporte sowie der Ausbildung und Finanzhilfen für die ukrainische Armee erfolgen, heißt es in dem Papier.

Eine eurasische Friedens- und Sicherheitsarchitektur, unter Einschluss Russlands und Chinas, wird als Gegenmodell zur NATO angestrebt. Man wolle die EU als Friedensmakler, nicht als Militärunion und verlängerter Arm der NATO. 

 

In der Migrationspolitik wiederholt der Entwurf die bekannte Position Sahra Wagenknechts: Reduktion der Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge durch Botschaftsasyl und UNO-Asylzentren vor Ort sowie Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und in sicheren Drittstaaten, Flüchtlingshilfe vor Ort und vor allem Bekämpfung von Fluchtursachen (Kriege, Rüstungsexporte, falsche Handelspolitik, Sanktionen). Und auch Sahra Wagenknechts Kritik an der sogenannten Gesinnungsdiktatur und Cancel Culture findet sich wieder: ,,In der Attitüde eines modernen Wahrheitsministeriums nehmen viele Politiker und Journalisten oder die sogenannten Faktenchecker heute für sich in Anspruch festzulegen, was richtig und was falsch ist."

Teil dieser unsäglichen Cancel Culture sei der Digital Service Act der EU, der zurückgenommen werden müsse. Er führe zur Zensur im Internet und in den sozialen Medien. 
 
Sarah Wagenknecht in der Bundespressekonferenz in Berlin

 (Bild: picture alliance / PIC ONE / Christian Ender)